Vom 21.-23. September 2023 fand in Innsbruck der 5. Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen statt. Das FÖPS war durch zahlreiche Mitglieder und Projekte vertreten.
Der Kongress wurde in diesem Jahr von den Instituten für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie, für Theorie und Zukunft des Recht sowie für Zivilrecht an der Universität Innsbruck organisiert; zahlreiche rechtssoziologische, rechtswissenschaftliche und kriminologische Fachverbände und Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren daran beteiligt. Neben den Projekten FAKE-ID, Police Accountability und VIKING, die ihre Zwischenergebnisse vorstellten, war das FÖPS auch durch Prof. Dr. Walter Fuchs vertreten, der zwei Sessions zur aktuellen Zugänglichkeit des Strafverfahrens bzw. rechtshistorischen Fragen in der Habsburger Monarchie leitete.
Die Tagung stand unter der Überschrift „Zugänge zum Recht – zugängliche Rechte?“. Empirische Studien weisen immer wieder darauf hin, dass die Zugänglichkeit und damit die faktische Wirksamkeit von Recht je nach Herkunft, sozialer Schicht, Geschlecht, Behinderung etc. sehr unterschiedlich ausfällt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen und Herausforderungen (Wirtschaft, Klima, Gesundheit, Migration etc.) griffen die zahlreichen interdisziplinären Vorträge in insgesamt neun Tracks unterschiedliche Aspekte der Zugänglichkeit des Rechts in verschiedenen Lebensbereichen auf, ebenso aber auch die methodischen Probleme des Wissens über bzw. des wissenschaftlichen Zugangs zum Recht.
Die FÖPS-Teilprojekte in den Verbundprojekten FAKE-ID und VIKING, beide gefördert vom BMBF und geleitet von Prof. Dr. Sabrina Schönrock und Prof. Dr. Hartmut Aden, organisierten zusammen mit dem Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen und Prof. Dr. Matthias Kettemann von der Universität Innsbruck ein Panel mit drei Beiträgen zum Thema „Künstliche Intelligenz und staatliche Institutionen der (Un)Sicherheit“.
Anna Louban diskutierte gemeinsam mit Dr. Lou Therese Brandner von der Universität Tübingen Probleme einer „datafizierten Polizeiarbeit“, die sich auf Künstliche Intelligenz und andere technische Lösungen in der Strafverfolgung stützt. Bei dem von Anna Louban vorgestellten Projekt FAKE-ID geht es um eine KI-basierte Lösung für Strafverfolgungsbehörden zur Detektion von sogenannten Deepfakes – das sind künstlich generierte bzw. manipulierte Bilder und Videos. Das von Lou Brandner vorgestellte Projekt PEGASUS untersucht dagegen, wie nationale Polizeibehörden mit KI-gestützten Datenfilterungs- und Datenauswertungssystemen arbeiten. Die beiden Projekte zeigen auf, wie digitalisierte Strafverfolgungsprozesse ausgestaltet sind. Ihr Fokus liegt dabei u.a. auf der Ausdifferenzierung der beteiligten polizeilichen Akteur:innen im Kontext der Mensch-Computer-Interaktion. Die Herausforderungen und Verantwortlichkeiten innerhalb solcher Prozesse umfassen dabei sowohl eine Auseinandersetzung mit der Vertrauenswürdigkeit der genutzten Systeme als auch die Diskussion um die Gerichtsverwertbarkeit der auf diese Weise erstellten Daten.
Auf die Frage der Gerichtsverwertbarkeit von Beweismitteln, die mittels Deepfake-Detektoren produziert oder untersucht wurden, ging auch der Vortrag von Julia Aigner, Sabrina Schönrock und Milan Tahraoui aus dem FAKE-ID-Projekt ein. Durch die technologische Entwicklung werdenDeepfakes immer realistischer, was die zuverlässige Detektion und Verifizierung entsprechenden Materials speziell in der Strafverfolgung erschwert. Aktuelle Deepfake-Detektoren setzen dabei auf maschinelles Lernen, ihre Ergebnisse dienen als Entscheidungshilfe für die Strafverfolgung und vor Gericht als Beweismittel. Ihr Beitrag widmet sich vor allem den juristischen Herausforderungen, die mit dieser neuen Art der Beweisführung verbunden sind – etwa, inwiefern davon das Unmittelbarkeitsprinzip im Gerichtsverfahren tangiert ist; welche Rollen den Sachverständigen als Intermediären zwischen KI-System und Richter:innen zukommt oder die Frage, als welche Art von Beweis die KI-gestützten Detektionsergebnisse eingestuft werden.
Hartmut Aden und Steven Kleemann befassten sich in ihrem Beitrag mit Fragen der „Fairness, Erklärbarkeit und Transparenz bei KI-Anwendungen im Sicherheitsbereich“, ein gemeinsam mit Simon David Hirsbrunner von der Universität Tübingen verfasstes Paper. Sie diskutierten aus rechts- und politikwissenschaftlichen sowie ethischen Perspektiven, welche Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Unterschiede es zwischen diesen Kriterien gibt. Beispielsweise stelle Fairness nicht nur ein statistisches Maß dar, um Verzerrungen wie einen gender oder racial bias in Modellen zu erfassen und zu verringern, sondern hänge auch von den Transparenz- und Kommunikationsstrategien ab, welche die Verfahren verständlich und nachprüfbar machen. Ihre Diskussion knüpft an die derzeitigen Bestrebungen zur Schaffung eines europäischen Rechtsrahmens für die Entwicklung und Nutzung von KI an, insbesondere den seit 2021 im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Vorschlag einer KI-Verordnung der EU, bei dem es auch um neue Zugänge zum Recht geht.
Wenn Betroffene Konflikte mit staatlichen Stellen haben, ist das Kriterium ihrer Beschwerdemacht entscheidend für die Frage des effektiven Rechtszugangs. Gerade gegenüber der Polizei wurde in den letzten Jahren versucht, durch interne Ombudspersonen, externe Beschwerdestellen oder unabhängige Beauftragte den Rechtszugang für Menschen mit geringer Beschwerdemacht konkret zu verbessern. Dr. Sonja John und Hartmut Aden stellten dazu Beiträge aus dem DFG-Projekt „Police Accountability – Towards International Standards“ (2021-2024) vor, in dem interdisziplinäre Teams aus Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada und Deutschland die Praxis des externen Beschwerdemanagements über die Polizei vergleichend untersuchen, um Best Practices zu identifizieren. Das Projekt war bei dem Kongress in Innsbruck mit zwei Panels und Forschenden aus den deutschen und britischen Projektteams vertreten. Herr Aden gab einen Überblick über „Theoretische Schlüsselkonzepte für den Vergleich unabhängiger Polizeibeschwerdestellen“. Dabei stellte er dem aus den Politik- und Verwaltungswissenschaften kommendem Konzept der Accountability zur Transparenz und Kontrolle mächtiger Akteure die Perspektive der Betroffenen gegenüber, für die sich die Bearbeitung ihrer Beschwerden unter den Gesichtspunkten der Procedural Justice und der Fairness darstelle. In seinem Vortrag ging er auf mögliche Synergien zwischen diesen und weiteren theoretischen Zugängen für die international vergleichende Forschung zu externen Polizeibeschwerdemechanismen ein.
Im Vergleich zu anderen Verwaltungsbereichen hat das Ombudswesen in der Polizei vergleichsweise spät Einzug gehalten. Sonja John ging deshalb in ihrem Vortrag darauf ein, „Was die polizeiliche Accountability-Forschung von der Analyse des Beschwerdemanagements an Universitäten lernen kann“. Sie bezog sich dabei auf umfangreiche Arbeiten von Sara Ahmed, die sich mit den Beschwerdeverfahren im Hochschulbereich befasst und auf Probleme aufmerksam gemacht hat. So warnt Ahmed vor der Tendenz, Probleme zu „überspielen“, ohne sie zu lösen, oder einer symbolischen Politik im Beschwerdemanagement. Für Frau John bietet Ahmed einen theoretischen Rahmen, um die affektive Reproduktion von Ungleichheiten zu erforschen sowie institutionelle Dynamiken zu überdenken, die auch bei der Erforschung der Kontrolle der Polizei wirksam sein könnten. Außerdem ging sie auf die Frage ein, ob die Aufsichtsorgane den Opfern und Marginalisierten tatsächlich einen besseren Zugang zu ihren Rechten gewähren.